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17Chiralität

Ulrike Mohr
2015, Metall, Kunststoff, Kümmel- und Minzepflanzen

Chiralität

Vor dem letzten Gebäude auf dem Campus Berlin-Buch stehen zwei große Skulpturen aus weißen Rohren und Kugeln: „Chiralität“ der Bildenden Künstlerin Ulrike Mohr.

Ulrike Mohr wurde 1970 in Tuttlingen geboren. Sie studierte Freie Kunst / Bildhauerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, wo sie jetzt unter anderem auch unterrichtet. Sie stellt in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland aus und gewann mehrere Preise und Stipendien. Mohr lebt und arbeitet in Berlin.

Ausgehend von Naturbeobachtungen befasst sich Ulrike Mohr mit Materialien. Dabei gilt ihr Interesse neben der Materialbeschaffenheit vorwiegend Transformationsprozessen. Mit ihrer Kunst am Bau Arbeit für den Campus Berlin-Buch thematisiert Ulrike Mohr das Prinzip der Chiralität, der Händigkeit. Die Installation besteht aus zwei Modellen der Strukturformel des Moleküls Carvon. Wie die Carvonmoleküle in der Natur gleichen sich auch die Modelle spiegelbildlich, sie sind chiral. Trotz ihrer identischen Summenformel lösen beiden Formen des Moleküls bei Menschen unterschiedliche Geruchsempfindungen aus: Das (S)-(+)-Carvon weist einen Kümmelgeruch auf, sein Spiegelbild (R)-(−)-Carvon riecht nach Krauseminze. Das greifen auch die schmalen langen Beete auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf, in denen mehrere Sorten Pfefferminz- und Kümmelpflanzen von der Künstlerin angepflanzt wurden. Als alte Heil- und Gewürzpflanzen stellen Kümmel und Minze eine Verbindung zum Campus als Forschungs- und Klinikstandort her.

Minze- und Kümmelbeete vor der Skulptur

Die Skulptur spielt auf die räumliche Dimension chemischer Interaktion an. So ist es im Fall des Carvons eben nicht die chemische Summenformel, die das ausgelöste Geruchsempfinden verantwortet, schließlich ist sie bei S- und R-Carvon identisch. Die Rezeptoren der Sinneszellen in der Nasenschleimhaut reagieren auf die räumliche Gestalt ihrer Signalmoleküle. Mit dieser Arbeit verweist Mohr auf die Mehrdimensionalität natürlicher Interaktion.

Die Skulptur steht in direktem Bezug zur Gesundheitsforschung auf dem Campus Berlin-Buch, denn die Chiralität von Signalmolekülen hat direkte Auswirkungen auf die Gesundheit. So kann ein Molekül in der einen Form Beschwerden lindern und in der anderen Form verursachen. Bekanntes Bei-spiel dafür ist der Wirkstoff Thalidomid, der in einer seiner Formen Schlafbeschwerden lindert und in der anderen Form bei Schwangeren zu Missbildungen der Neugeborenen führen kann. Dies führte in den 1960er und 70er Jahren zum Contergan-Skandal. Man kann Ulrike Mohrs Arbeit also auch als Mahnung verstehen, stets im wortwörtlichen Sinne „beide Seiten“ zu betrachten.

Das Kunstwerk wurde mit öffentlichen Mitteln als Kunst am Bau realisiert.

Interview: